Samstag, 25. März 2023 19:00 Uhr

“Aus der Tiefe …dass wir Frieden hätten”

Geheimnisvoll, ersehnt, nicht einzuplanen wie die Nordlichter am Sternenhimmel ist der Trost aus dem – eigentlich zutiefst verstörenden – Kreuzesleiden Jesu: Passion, Leiden, Leidenschaft für das Leben (oder wie B. Kirchhoff es formulierte: das Mitleid in die Welt zu bringen). Der Amadeus-Chor präsentiert dazu im Passionskonzert 2023 Kompositionen verschiedener Epochen: Kyrie und Agnus dei aus Cantus Missae in Es-Dur von Josef Gabriel Rheinberger werden das Programm rahmen, die sehr alte, mystische Kreuzesmeditation O Crux splendidior wird einmal musikalisch umgesetzt von Orlando di Lasso, ganz anders dann von dem Norweger Knut Nystedt. Der 130. Psalm, Aus der Tiefe rufe ich, erklingt in der Vertonung von Albert Becker sowie auch in der bekannteren Fassung von Heinrich Kaminski und schließlich von Hugo Distler die eindringliche Motette Fürwahr, er trug unsere Krankheit. Dazwischen erklingen Marimba-Improvisationen, gespielt von Horst Faigle.

Friederike Scharrer

(Langtext)

Thematisch geht es im Passionsprogramm 2023 um den Schrei aus den Tiefen und das (paradoxe) Geheimnis von Vergebung, Erlösung und Stellvertretung. Unter der Leitung von Benedikt Haag präsentiert der Amadeus-Chor aus Neuendettelsau Kompositionen unterschiedlicher Zeit und Stilrichtungen zu Texten, die extreme Gegensätze
menschlichen Erlebens miteinander verschmelzen: Da ist zum einen die wohl aus dem 6.Jahrhundert stammende hymnische Kreuzesmeditation ‚O Crux splendidior cunctis astris‘, Venantius Fortunatus zugeschrieben. Sie setzt in fast unerträglicher Weise den grausamen Tod Jesu am Kreuz und das majestätische Strahlen des sternübersäten Firmaments in Bezug, ja, stellt die größere Strahlkraft des Kreuzes heraus und bindet alle Hoffnung daran. Der Amadeus-Chor musiziert zunächst die Vertonung des franko-flämischen Meisters Orlando di Lasso (1532-1594). Die 6-stimmige Komposition lässt wohl geordnete klingende Räume entstehen, die Geborgenheit und Orientierung anbieten. Die Klangbänder münden in ein – den Osterjubel vorwegnehmendes – Halleluja. Etwa 400 Jahre später (1977) setzte der Norweger Knut Nystedt (1915-2014) denselben Text um: aus einem Ton erstrahlt seine Klang-Meditation wie geheimnisvolle Nordlichter über den gewaltigen zerklüfteten Berglandschaften Norwegens. Bohrend, schwebend, funkelnd, mit versetzten schmerzhaften Schreien, wie der Blick auf Nägel und Wunden, mit verklingendem Nachhall und Staunen wird Schmerz und Heilung in Bezug zum Kosmos gesetzt. Das Stück spiegelt zugleich Nystedts Faszination von den Möglichkeiten der menschlichen Stimme und ihren Klangfarben. Der zweite Text, in dem extreme Gegensätze in eins gesetzt werden, ist Psalm 130: Ausgehend von dem, der aus den Tiefen ruft, der sich bewusst wird, von sich aus nicht bestehen zu können, über die gewaltige Entfernung hin zu Gott, in dem Vergebung ist, dass man ihn fürchte. Dieser oft vertonte Psalm birgt in wenigen Sätzen das überwältigende Rechtfertigungsgeschehen und mündet aus der persönlichen Erfahrung in eine große Aufforderung zu hoffen. Der 130. Psalm zählt zu den Bußpsalmen und wird in der katholischen Kirche unter anderem beim Begräbnis gesprochen. Von den zahlreichen Vertonungen präsentiert der Amadeus-Chor zwei und zwar im Wechsel jeweils mit den ‚O Crux’-Vertonungen. Zunächst erklingt Albert Beckers (1834-1899) achtstimmiges op. 62: Aus der Tiefe rufe ich. Man mag sich Michelangelos Fresko ‚Die Erschaffung Adams‘ ausmalen – der Finger des Menschen ausgestreckt, Männerstimmen beginnen in der Tiefe, fächern sich auf zu verschiedenen Zielpunkten, Frauenstimmen kommen dazu, das Tongeflecht beruhigt sich, bündelt sich in der Höhe. ‚Wenn Du willst, Herr, Sünde zurechnen, wer wird bestehen‘- wird lebhafter, die ‚Herr-Rufe‘ eindringlicher. ‚Bei Dir ist Vergebung‘, sie wird ausgelotet, in verschiedenen Richtungen, wie ein Einsammeln der Verlorenen. Schließlich wird die Aufforderung, auf Gott zu harren und zu hoffen, breit und vielstimmig aufgefächert. Die zweite – spätromantische – Komposition zum 130. Psalm ist das am häufigsten aufgeführte Werk von Heinrich Kaminski (1886-1946). In drei kurzen Sätzen, beginnend mit in- und miteinander verschlungenen Herr-Rufen, die die Not des Rufers aus der Tiefe und den vergebenden Gott in Verbindung setzen. Der Mittelteil drückt das Vertrauen aus, sanft und ruhig wie ein Schreiten oder Wiegen, mit einem darüber gesetzten Sopran-Solo. Der 3. Satz ist die Aufforderung an ‚Israel’, an alle, zu hoffen: Laut beginnende, lebhafte Bewegung, wie ein Freudentaumel und zugleich starke Zuversicht. Nach kurzem Zurückgehen, stiller wird auf Vergebung rekurriert, dann steigert sich der 4-stimmige Gesang enorm zum Schlussjubel. Als dritter schwergewichtiger Passionstext – neben ‚o Crux‘ und ‚Aus der Tiefe‘ – folgt Hugo Distlers (1908-1942) Vertonung von Jesaja 53, 4-5, mit Schlusschoral: Fürwahr, er trug unsere Krankheit, op. 12.9. Distler wurde in Nürnberg geboren und in Lübeck, Berlin und Stuttgart in den Kämpfen zwischen Deutschen Christen und Bekennender Kirche unter Kränkungen und Einschüchterung zerrieben. Die aufgeführte 4-stimmige Motette erschien 1934. Ihr liegen die schwierigen alttestamentlichen Verse zugrunde: über den Gerechten, der stellvertretend Sühne leistet. Die Figur dieses Gottesknechts half vielleicht schon Jesus, sicher aber den ersten Christen, den Weg ins Leiden zu deuten. Distler gelingt es, in starken extravaganten Linien die Schwere der Schuld, der Krankheit, der Schmerzen musikalisch einzuprägen und mit Schuldbekenntnis und Erlösung zu verbinden. Die Fuge schließt in einem zuversichtlichen Choral, nach einer Strophe von Paul Gerhard. Theologisch kommt im Programm hier der Gedanke der Stellvertretung in den Blick – als Hilfe zum Verstehen von Erlösung, aber auch von Hoffnung und als Modell für Nachfolge. Gerahmt werden diese drei gehaltvollen Passionstexte von Teilen aus Cantus Missae in Es-Dur von Josef Gabriel Rheinberger (1839-1901). So wird das Konzert eröffnet mit Rheinbergers ‚Kyrie’ und es schließt mit dem ‚Agnus dei’. Die doppelchörige Messe ist die einzige achtstimmige unter Rheinbergers 18 Messvertonungen und nach Otto Ursprung die schönste reine Vokalmesse des 19.Jahrhunderts. Sie zeichnet sich durch die Verbindung verschiedener Kompositionsstile aus: Elemente der frühen Vokalpolyphonie stoßen auf empfindsame, ausdrucksvolle Ausgestaltung des Mess-Textes. Dadurch gelingt es Rheinberger, dem Hörer die Spannung zwischen Schwere und Geborgenheit und das Geheimnis, wie das Lamm Gottes (agnus dei) die große Hoffnung auf Frieden auslöst, unmittelbar nahezubringen. Ergänzt wird der A-cappella-Gesang durch Marimba-Improvisationen, gespielt von Horst Faigle.

Friederike Scharrer